Beartooth

Nur zwei kurze Jahre, nachdem ihr Debüt im Keller des Frontmanns Caleb Shomo ausgebrütet wurde, haben sich BEARTOOTH in die Stratosphäre der extremen Musik katapultiert. „The Lines“, „Beaten in Lips“, „In Between“ und „Body Bag“ konnten über zehn Millionen Youtub-Views einsacken, während BEARTOOTH den Globus mit Slipknot, Pierce The Veil, Bring Me The Horizon oder Sleeping With Sirens beackerten und die Bühnen von Reading und Leeds, dem Download Festival und der Vans Warped Tour einäscherten.

BEARTOOTH mögen die Nähe zu stampfendem Metalcore ebenso wie zu Old-School-Punk, Vintage-Screamo oder der heftigen Seite des Pop Punk, würzen all das mit einer kräftigen Prise filmreifer Extravaganz.

War Disgusting noch der Sound eines Einzelgängers auf dem Weg nach oben, ist Aggressive nun der Schlachtruf, sich niemals zurück in die Dunkelheit drängen zu lassen. BEARTOOTHs zweites Album für Red Bull Records entlädt sich in unerbittlicher Wucht und eisernem Willen. Es ist das unvermeidliche Ergebnis eines zu allem entschlossenen, wahnwitzig talentierten und reichlich gequälten Sängers, der Sinn und Anker darin fand, seine Unsicherheit, seine Aggressivität und seine Reue mit gleichgesinnten Menschen auf der ganzen Welt zu teilen – Menschen, von denen er nie geglaubt hätte, dass sie seine Musik hören oder sich ihr gar verbunden fühlen würden.

„Wahnsinnig kommt dem noch nicht mal ansatzweise nah“, sagt Shomo zur bisherigen BEARTOOTH-Reise. „Es war ein gewaltiger Wirbelsturm an Überraschungen, der wieder und wieder über uns hinwegfegte.“

Der Titeltrack der zweiten Offensive Aggressive klingt wie ein BEARTOOTH-Leitbild. Er brüstet sich mit leidenschaftlich-kehligem Gesang, dräuender Steigerung, kathartischen Breakdowns, genügend Groove für irrwitzige Mosh-Pits und scharfkantigen Riffs. „Who knew you’d be hated for being who you are? And be a big target for all the insecure?“, croont Shomo zu Beginn von „Hated“, einer Outsider-Hymne par excellence, die das angespannte Momentum des Neunziger-Punk mit einem erhabenen Stadionrock-Refrain vermählt. „Loser“ ist keinen Deut weniger treibend als die Foo Fighters oder Rise Against, zusätzlich gestählt vom Überschwang, wie ihn nur der Underground zur Schau trägt. Zudem wäre da einerseits noch „Always Dead“, der auf jedem Hardcore-Festival umgehend einen Circle-Pit entfesseln wird, während „Rock is Dead“ andererseits eine Art gewaltiges Aufatmen von ernsthafter Reflexion hin zu sorgloser Feierei bedeutet.

Zu einer BEARTOOTH-Show kommt niemand, um dann nur blöd rumzustehen. Das Publikum giert nach Beteiligung, sehnt sich danach, mitzumachen, ja, besteht regelrecht darauf, einen aktiven Part zu übernehmen und durchgehend mitzusingen. Auf BEARTOOTHs Sick-EP (2013) und dem Debütalbum Disgusting (2014) übernahm Shomo alle Instrumente und Vocals wie selbstverständlich selbst, um die Dämonen einer tiefen Depression, seine Selbstzweifel und all die kreative Frustration zu exorzieren. Aggressive ist da ein natürlicher Schritt nach vorn, mit dem er der Depression erfolgreich aus dem netz entging.

„Ich will die Leute wissen lassen, dass ich es geschafft habe“, erklärt Shomo mit der für ihn so typischen Aufrichtigkeit. „Wir waren alle an diesem dunklen Ort. Viele sind noch an diesem Ort, wieder andere werden eines Tages wieder an ihn zurückkehren. Doch man darf die Depression weder gewinnen lassen noch sich von ihr definieren lassen. Was es auch ist, das du zum Kampf gegen deine Depression brauchst, was auch nötig sein mag, um diese Dunkelheit in deinem Leben zu bekämpfen: Wenn du dich wirklich reinhängst und dafür kämpfst, kannst du sie überwinden und als Sieger aus diesem Kampf hervorgehen.“

Shomo und seine Bandkollegen lassen sich mehr als gern von BEARTOOTH definieren. Aggressive mag randvoll sein mit leidenschaftlichem Geschrei, bewegenden Riffs und massiven Mosh-Parts; es ist aber auch unfassbar eingängig. Darin waren BEARTOOTH eben immer schon die Besten: Rohe, echte Intensität mit Zugänglichkeit paaren – ganz ähnlich der Balance zwischen der ernüchternden Realität ihrer eigenen Dämonen und der Hoffnung auf Erlösung durch Beharrlichkeit.

„Diese Band bin ich“, sagt Shomo nicht ohne Stolz. „Ich will, dass sie der Stempel wird, den mein Name bis an mein Lebensende auf der Welt hinterlassen wird. Und ich will, dass sich dieses Album dieser Aufgabe als würdig erweist. Dies ist meine Chance, mir zu beweisen, dass BEARTOOTH kein Zufallstreffer ist.“

Natürlich war bislang nichts in Shomos Karriere ein solcher „Zufallstreffer“. Mit gerade mal Anfang 20 hat er bereits viele der Höhen und Tiefen umschifft, die man gemeinhin mit kreativem Ausdruck, Underground-Subkultur und kommerziellem Erfolg assoziiert. Nachdem er im Alter von 15 Jahren als Keyboarder bei Attack Attack! einstieg, hatte sich der junge Mann aus Columbus, Ohio auf die Position des Frontmanns vorgearbeitet, als die Band mit ihrem dritten Album die Billboard Top Ten knackte. Bald darauf verließ Shomo Attack Attack!, um den direkten Kampf mit seiner Depression und seinen Angstzuständen auszufechten.

Entsprechend ging es bei BEARTOOTH anfangs um den bewusst solitären Ausdruck von Schmerz und geistiger Instabilität. Nachdem die Gitarristen Taylor Lumley und Kam Bradbury, Basser Oshie Bichar und der ursprüngliche Schlagzeuger rekrutiert wurden, um Sick und Disgusting auch auf Touren zu supporten, wandelte sich BEARTOOTH mehr und mehr in etwas, das an eine traditionelle Band erinnerte. Sie funktioniert ähnlich wie es Einheiten wie Marilyn Manson, The Cure oder Nine Inch Nails tun: Eine Person führt den kreativen Feldzug an, wird aber von der Energie enger Vertrauter und Kameraden gestärkt, die seine Vision Wirklichkeit werden lassen.

Für die Dauer eines grimmigen Winters zog sich Shomo zu gegebener Zeit in seinen Keller zurück, wo er wie besessen an BEARTOOTHS heiß erwartetem Nachfolger herumtüftelte und erneut die Grenzen seiner Belastbarkeit austestete. Schon bei seinem ersten Album versuchte er, die Arbeitslast mit externen Mixern zu verringern – allein, der BEARTOOTH-Sound ist so voller Nuancen, dass ihn niemand der angefragten Menschen wirklich durchschauen konnte.

Auftritt Hit-Veteran David Bendeth, dessen Diskografie wegweisende Alben von Paramore, Breaking Benjamin, A Day To Remember und Taking Back Sunday vorweist. In ihm witterte Shomo eine verbundene Seele. Kurzerhand vertraute er Bendeth den Mix von Aggressive an, saugte ihm im Studio alles Wissen und alle Erfahrung aus, die die Ikone mitbrachte. Außerdem ist auf dem neuen BEARTOOTH-Album eine kompositorische Beteiligung von John Feldman zu finden, dessen Arbeit als Produzent, Mixer und Co-Writer Werke von Good Charlotte, The Used und 5 Seconds Of Summer einschließt.

„Die Arbeiten an diesem Album waren prägend für mich – und zwar mehr als alles andere, was ich seit langer Zeit erlebt habe“, offenbart Shomo. Gerne hebt er eine zweistündige Unterhaltung mit Bendeth als bahnbrechend für die Reise dieses Albums hervor, findet aber auch warme Worte für Feldmann, der es ihm ermöglicht hat, die eher helleren und melodischen Parts auf Aggressive zu betonen.

„Das war alles eine überaus feinfühlige Angelegenheit. Der Grund, weshalb ich überhaupt mit den beiden arbeiten konnte, ist, dass wir uns so nahestehen. Wir sind eine kleine Familie geworden. Sie haben viel Respekt vor dem, was ich mache – und auch davor, wie ich es am liebsten mache. Sie haben wirklich verstanden, was es mental für mich bedeutet, ein BEARTOOTH-Album zu erschaffen. Alles, was sie wollten, ist, mich in diesem Prozess zu bestärken, gemeinsam mit mir die Grenzen sprengen und bessere Songs aus mir herauskitzeln.“

Ein wichtiger Teil dieses Prozesses war die Verarbeitung zweier Jahre auf der Straße. „Ich fragte mich, welche Parts mich dazu bringen würden, aufzuspringen und so laut mitzusingen wie ich kann. Was würde mich wirklich in eine Show hineinziehen? Klar, es gibt immer härtere und eher entspannte Songs. Was ich jedoch vermeiden will, ist ein toter Punkt. Leerlauf. Alles, was ich tue, muss intensiv und voller Energie sein.“

Disgusting setzte sich vorrangig mit Selbsthass auseinander. Aggressive wird von einer vollkommen anderen, gesünderen Art von Aggressivität befeuert. „Schau dir nur mal ein Orchester an: Niemand spricht auch nur ein Wort – und doch würden manche Menschen dafür sterben. Weil es berührt. Weil es bewegt“, so Shomo. „Ich will nicht einer dieser Künstler sein, der die Menschen durch seine Musik anlockt und dann in seinen Texten an einen unangenehmen Ort führt. Ich will, dass die Leute Textzeilen mitsingen, die sie bestärken, die sie dazu ermutigen, da raus zu gehen und das Leben neu kennenzulernen.“

Was einst nur Caleb Shomo in seinem Keller gehörte, wurde in die Welt getragen, wo es mehr und mehr Menschen begeistert. Heute gehört BEARTOOTH den Menschen ebenso sehr wie ihm. Aggressive ist die unausweichliche Evolution einer Band, die ihre Zähne tiefer und tiefer in der Welt versenkt.

Line-Up:
Caleb Shomo – Vocals
Taylor Lumley – Gitarre
Kamron Bradbury – Gitarre
Oshie Bichar – Bass

Mehr über Beartooth:
www.beartoothband.com
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Interview auf dem Nova Rock Festival 2016